Немецкий язык





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Text 18. Im Walde (Theodor Storm)

So lebten die Kinder zusammen; sie war ihm oft zu still, er war ihr oft zu heftig, aber sie ließen deshalb nicht von einander; fast alle Freistunden teilten sie, Winters in den beschränkten Zimmern ihrer Mütter; Sommers in Busch und Feld. - Als Elisabeth einmal in Reinhardts Gegenwart von dem Schullehrer gescholten wurde, stieß er seine Tafel zornig auf den Tisch, um den Eifer des Mannes auf sich zu lenken. Es wurde nicht bemerkt. Aber Reinhardt verlor alle Aufmerksamkeit an den geographischen Vorträgen; statt dessen verfasste er ein langes Gedicht; darin verglich er sich selbst mit einem jungen Adler, den Schulmeister mit einer grauen Krähe, Elisabeth war die weiße Taube; der Adler gelobte an der grauen Krähe Rache zu nehmen, sobald ihm die Flügel gewachsen sein würden. Dem jungen Dichter standen die Tränen in den Augen; er kam sich sehr erhaben vor. Als er nach Hause gekommen war, wusste er sich einen kleinen Pergamentband mit vielen weißen Blättern zu verschaffen; auf die ersten Seiten schrieb er mit sorgsamer Hand sein erstes Gedicht. - Bald darauf kam er in eine andere Schule, hier schloss er manche neue Kameradschaft mit Knaben seines Alters; aber sein Verkehr mit Elisabeth wurde dadurch nicht gestört. Von den Märchen, welche er ihr sonst erzählt und wieder erzählt hatte, fing er jetzt an, die, welche ihr am besten gefallen hatten, aufzuschreiben; dabei wandelte ihn oft die Lust an, etwas von seinen eigenen Gedanken hineinzudichten; aber, er wusste nicht weshalb, er konnte immer nicht dazu gelangen. So schrieb er sie genau auf, wie er sie selber gehört hatte. Dann gab er die Blätter an Elisabeth, die sie in einer Schubfach ihrer Schatulle sorgfältig aufbewahrte; und es gewährte ihm eine anmutige Befriedigung, wenn er sie mitunter Abends diese Geschichten in seiner Gegenwart aus den von ihr geschriebenen Heften ihrer Mutter vorlesen hörte.

Sieben Jahre waren vorüber. Reinhardt sollte zu seiner weiteren Ausbildung die Stadt verlassen. Elisabeth könnte sich nicht in den Gedanken finden, dass es nun eine Zeit ganz ohne Reinhardt geben werde. Es freute sie, als er ihr eines Tages sagte, er werde, wie sonst, Märchen für sie aufschreiben; er wolle sie ihr mit den Briefen an seine Mutter schicken; sie müsse ihm dann wieder schreiben, wie sie ihr gefallen hätten. Die Abreise rückte heran; vorher aber kam noch mancher Reim in den Pergamentband. Das allein war für Elisabeth ein Geheimnis, obgleich sie die Veranlassung zu dem ganzen Buche und zu den meisten Liedern war, welche nach und nach fast die Hälfte der weißen Blätter gefüllt hatten.

Es war im Juni; Reinhardt sollte am andern Tag reisen. Nun wollte man noch einmal einen festlichen Tag zusammen begehen. Dazu wurde eine Landpartie nach einer der nahe gelegenen Holzungen in größerer Gesellschaft veranstaltet. Der stundenlange Weg bis an den Saum des Waldes wurde zu Wagen zurückgelegt; dann nahm man die Proviantkörbe herunter und marschierte weiter. Ein Tannengehölz musste zuerst durchwandert werden; es war kühl und dämmerig und der Boden überall mit feinen Nadeln bestreut. Nach halbstündigem Wandern kam man aus dem Tannendunkel in eine frische Buchenwaldung; hier war Alles licht und grün, mitunter brach ein Sonnenstrahl durch die blätterreichen Zweige; ein Eichkätzchen sprang über ihren Köpfen von Ast zu Ast. - Auf einem Platze, über welchem uralte Buchen mit ihren Kronen zu einem durchsichtigen Laubgewölbe zusammenwuchsen, machte die Gesellschaft Halt. Elisabeths Mutter öffnete einen der Körbe; ein alter Herr warf sich zum Proviantmeister auf. "Alle um mich herum, Ihr jungen Vögel!" rief er, "und merket genau, was ich Euch zu sagen habe. Zum Frühstück erhält jetzt ein Jeder von Euch zwei trockene Wecken (1); die Butter ist zu Hause geblieben, die Zukost (2) müsst ihr Euch selber suchen. Es stehen genug Erdbeeren im Walde, das heißt, für den, der sie zu finden weiß. Wer ungeschickt ist, muss sein Brot trocken essen; so geht es überall im Leben. Habt Ihr meine Rede begriffen?"

"Ja wohl!" riefen die Jungen.

"Ja seht", sagte der Alte, "sie ist aber noch nicht zu Ende. Wir Alten haben uns im Leben schon genug umhergetrieben; darum bleiben wir jetzt zu Haus, das heißt, hier unter diesen breiten Bäumen, und schälen die Kartoffeln, und machen Feuer und rüsten die Tafel, und wenn die Uhr zwölf ist, sollen auch die Eier gekocht werden. Dafür seid Ihr uns von Euren Erdbeeren die Hälfte schuldig, damit wir auch einen Nachtisch servieren können. Und nun geht nach Ost und West und seid ehrlich!"

Die Jungen machten allerlei schelmische Gesichter. "Halt!" rief der Herr noch einmal. "Das brauche ich Euch wohl nicht zu sagen, wer keine findet, braucht auch keine abzuliefern; aber das schreibt Euch wohl hinter Eure feinen Ohren, von uns Alten bekommt er auch nichts. Und nun habt Ihr für diesen Tag gute Lehren genug; wenn Ihr nun noch Erdbeeren dazu habt, so werdet Ihr für heute schon durch's Leben kommen."

Die Jungen waren derselben Meinung und begannen sich paarweise auf die Fahrt zu machen.

"Komm, Elisabeth", sagte Reinhardt, "ich weiß einen Erdbeerenschlag (3); Du sollst kein trockenes Brot essen."

Elisabeth knüpfte die grünen Bänder ihres Strohhutes zusammen und hing ihn über den Arm. "So komm", sagte sie, "der Korb ist fertig."

Dann gingen sie in den Wald hinein, tiefer und tiefer; durch feuchte undurchdringliche Baumschatten, wo Alles still war, nur unsichtbar über ihnen in den Lüften das Geschrei der Falken; dann wieder durch dichtes Gestrüpp, so dicht, dass Reinhardt vorangehen musste, um einen Pfad zu machen, hier einen Zweig zu knicken, dort eine Ranke bei Seite zu biegen. Bald aber hörte er hinter sich Elisabeth seinen Namen rufen. Er wandte sich um. "Reinhardt!" rief sie, "warte doch, Reinhardt!" Er konnte sie nicht gewahr werden; endlich sah er sie in einiger Entfernung mit den Sträuchern kämpfen; ihr feines Köpfchen schwamm nur kaum über den Spitzen der Farrenkräuter. Nun ging er noch einmal zurück und führte sie durch das Wirrnis der Kräuter und Stauden auf einen freien Platz hinaus, wo blaue Falter zwischen den einsamen Waldblumen flatterten. Reinhardt strich ihr die feuchten Haare aus dem erhitzten Gesichtchen; dann wollte er ihr den Strohhut aufsetzen und sie wollte es nicht leiden; dann aber bat er sie und dann ließ sie es doch geschehen.

"Wo bleiben denn aber Deine Erdbeeren?" fragte sie endlich, indem sie stehen blieb und einen tiefen Atemzug tat.

"Hier haben sie gestanden", sagte er; "aber die Kröten sind uns zuvorgekommen, oder die Marder, oder vielleicht die Elfen."

"Ja", sagte Elisabeth, "die Blätter stehen noch da; aber sprich hier nicht von Elfen. Komm nur, ich bin noch gar nicht müde; wir wollen weiter suchen."

Vor ihnen war ein kleiner Bach, jenseits wieder der Wald. Reinhardt hob Elisabeth auf seine Arme und trug sie hinüber. Nach einer Weile traten sie aus dem schattigen Laube wieder in eine weite Lichtung hinaus. "Hier müssen Erdbeeren sein", sagte das Mädchen, "es duftet so süß."

Sie gingen suchend durch den sonnigen Raum; aber sie fanden keine. "Nein", sagte Reinhardt, "es ist nur der Duft des Heidekrautes."

Himbeerbüsche und Hülsendorn standen überall durcheinander; ein starker Geruch von Heidekräutern, welche abwechselnd mit kurzem Grase die freien Stellen des Bodens bedeckten, erfüllte die Luft. "Hier ist es einsam"; sagte Elisabeth; "wo mögen die Andern sein?"

An den Rückweg hatte Reinhardt nicht gedacht. "Warte nur; woher kommt der Wind?" sagte er, und hob seine Hand in die Höhe. Aber es kam kein Wind.

"Still", sagte Elisabeth, "mich dünkt, ich hörte sie sprechen. Rufe einmal dahinunter."

Reinhardt rief durch die hohle Hand: "Kommt hieher!" - "Hieher!" rief es zurück.

"Sie antworten!" sagte Elisabeth und klatschte in die Hände.

"Nein, es war nichts, es war nur der Widerhall." Elisabeth fasste Reinhardts Hand. "Mir graut!" sagte sie.

Nein", sagte Reinhardt, "das muss es nicht. Hier ist es prächtig. Setz Dich dort in den Schatten zwischen die Kräuter. Lass uns eine Weile ausruhen; wir finden die Andern schon."

Elisabeth setzte sich unter eine überhängende Buche und lauschte aufmerksam nach allen Seiten; Reinhardt saß einige Schritte davon auf einem Baumstumpf und sah schweigend nach ihr hinüber. Die Sonne stand gerade über ihnen; es war glühende Mittagshitze; kleine goldglänzende, stahlblaue Fliegen standen flügelschwingend in der Luft; rings um sie her ein feines Schwirren und Summen, und manchmal hörte man tief im Walde das Hämmern der Spechte und das Kreischen der andern Waldvögel.

"Horch", sagte Elisabeth, "es läutet."

"Wo?" fragte Reinhardt.

"Hinter uns. Hörst Du? Es ist Mittag."

"Dann liegt hinter uns die Stadt; und wenn wir in dieser Richtung gerade durchgehen, so müssen wir die Andern treffen."

So traten sie ihren Rückweg an; das Erdbeerensuchen hatten

sie aufgegeben, denn Elisabeth war müde geworden. Endlich klang zwischen den Bäumen hindurch das Lachen der Gesellschaft; dann sahen sie auch ein weißes Tuch am Boden schimmern, das war die Tafel, und darauf standen Erdbeeren in Hülle und Fülle. Der alte Herr hatte eine Serviette im Knopf­loch und hielt den Jungen die Fortsetzung seiner moralischen Reden, während er eifrig an einem Braten herumtranchierte.

"Da sind die Nachzügler", riefen die Jungen, als sie Reinhardt und Elisabeth durch die Bäume kommen sahen.

"Hierher!" rief der alte Herr, "Tücher ausgeleert, Hüte umgekehrt! Nun zeigt her, was Ihr gefunden habt." "Hunger und Durst!" sagte Reinhardt.

"Wenn das Alles ist", erwiderte der Alte, und hob ihnen die volle Schüssel entgegen, "so müsst Ihr es auch behalten. Ihr kennt die Abrede; hier werden keine Müßiggänger gefüttert."

Endlich ließ er sich aber doch erbitten, und nun wurde Tafel gehalten; dazu schlug die Drossel aus den Wacholderbüschen.

So ging der Tag hin. - Reinhardt hatte aber doch etwas gefunden; waren es keine Erdbeeren, so war es doch auch im Walde gewachsen. Als er nach Hause gekommen war, schrieb er in seinen alten Pergamentband:

Hier an der Bergeshalde

Verstummet ganz der Wind;

Die Zweige hängen nieder,

Darunter sitzt das Kind.

Die sitzt in Thymiane (4),

Sie sitzt in lauter Duft;

Die blauen Fliegen summen

Und blitzen durch die Luft.

Es steht der Wald so schweigend,

Sie schaut so klug darein;

Um ihre braunen Locken

Hinfließt der Sonnenschein.

Der Kuckuck lacht von ferne,

Es geht mir durch den Sinn:

Sie hat die goldnen Augen

Der Waldeskönigin.
So war sie nicht allein sein Schützling; sie war ihm auch der Ausdruck für alles Liebliche und Wunderbare seines aufgehenden Lebens.
Texterläuterungen

1) Wecken, der; -s, -: /mhd. wecke = Keil, keilförmigesGebäck /: längliches Weizenbrötchen.

2) Zukost, die; -: Beikost: zusätzliche Nahrung; Beigabe zu den üblichen Mahlzeiten.

3) Erdbeerenschlag, der = "Schlag" ist niederdt. Geläufig als: Teil eines Ackers, hochdeutsch auch als: frisch abgeholzter Teil eines Waldes. Storm schließt sich hier aber wohl an Johann Peter Hebels Gedicht Der Knabe im Erdbeerschlag an. Darin findet der Knabe im Wald "Erdbeeri, Schlag an Schlag".

4) Thymian, der; -s, -e / mhd. tymian = Räucherwerk zu lat. Thymum /: in kleinen Sträuchern wachsende Pflanze mit würzig duftenden, kleinen, dunkelgrünen, auf der Unterseite silbrigweißen Blättern u. meist hellroten bis violetten Blüten, die als Gewürz zu Heilzwecken verwendet wird.
Text 19. Da stand das Kind am Wege (Theodor Storm)

Weihnachtabend kam heran. - Es war noch Nachmittags, als Reinhardt mit andern Studenten im Ratskeller am alten Eichentisch zusammen saß. Die Lampen an den Wänden waren angezündet, denn hier unten dämmerte es schon; aber die Gäste waren sparsam versammelt, die Kellner lehnten müßig an den Mauerpfeilern. In einem Winkel des Gewölbes saßen ein Geigenspieler und ein Zithermädchen (1) mit feinen zigeunerhaften Zügen (2); sie hatten ihre Instrumente auf dem Schoße liegen und schienen teilnahmlos vor sich hin zu sehen.

Am Studententische knallte ein Champagnerpfropfen. "Trinke, mein böhmisch Liebchen (3)!" rief ein junger Mann von junkerhaftem Äußern, indem er ein volles Glas zu dem Mädchen hinüberreichte.

Ich mag nicht", sagte sie, ohne ihre Stellung zu verändern.

So singe!" rief der Junker, und warf ihr eine Silbermünze in den Schoß. Das Mädchen strich sich langsam mit den Fingern durch ihr schwarzes Haar, während der Geigenspieler ihr in's Ohr flüsterte; aber sie warf den Kopf zurück und stützte das Kinn auf ihre Zither. "Für den spiel' ich nicht", sagte sie.

Reinhardt sprang mit dem Glase in der Hand auf und stellte sich vor sie. "Was willst Du?" fragte sie trotzig.

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"Deine Augen sehn."

"Was gehn Dich meine Augen an?"

Reinhardt sah funkelnd auf sie nieder. "Ich weiß wohl, sie sind falsch!" - Sie legte ihre Wange in die flache Hand und sah ihn lauernd an. Reinhardt hob sein Glas an den Mund. "Auf Deine schönen, sündhaften Augen!" sagte er, und trank.

Sie lachte und warf den Kopf herum. "Gib!" sagte sie, und, indem sie ihre schwarzen Augen in die seinen heftete, trank sie langsam den Rest. Dann griff sie einen Dreiklang und sang mit tiefer, leidenschaftlicher Stimme:

"Heute, nur heute

Bin ich so schön;

Morgen, ach morgen

Muss Alles vergehn!

Nur diese Stunde

Bist du noch mein;

Sterben, ach sterben

Soll ich allein."

Während der Geigenspieler in raschem Tempo das Nachspiel einsetzte, gesellte sich ein neuer Ankömmling zu der Gruppe.

"Ich wollte Dich abholen, Reinhardt", sagte er. "Du warst schon fort; aber das Christkind war bei Dir eingekehrt."

"Das Christkind?" sagte Reinhardt, "das kommt nicht mehr zu mir".

"Ei was! Dein ganzes Zimmer roch nach Tannenbaum und braunen Kuchen."

Reinhardt setzte das Glas aus der Hand und griff nach seiner Mütze.

"Was willst Du?" fragte das Mädchen.

"Ich komme schon wieder."

Sie runzelt die Stirn. "Bleib!" rief sie leise und sah ihn vertraulich an.

Reinhardt zögerte. "Ich kann nicht", sagte er.

Sie stieß ihn lachend mit der Fußspitze. "Geh!" sagte sie. "Du taugst nichts; Ihr taugt alle mit einander nichts." Und während sie sich abwandte, stieg Reinhardt langsam die Kellertreppe hinauf.

Draußen auf der Straße war es tiefe Dämmerung; er fühlte die frische Winterluft an seiner heißen Stirn. Hie und da fiel der helle Schein eines brennenden Tannenbaums aus den Fenstern, dann und wann hörte man von drinnen das Geräusch von kleinen Pfeifen und Blechtrompeten und dazwischen jubelnde Kinderstimmen. Scharen von Bettelkindern (4) gingen von Haus zu Haus, oder stiegen auf die Treppengeländer und suchten durch die Fenster einen Blick in die versagte Herrlichkeit zu gewinnen. Mitunter wurde auch eine Tür plötzlich aufgerissen und scheltende Stimmen trieben einen ganzen Schwarm solcher kleinen Gäste aus dem hellen Hause auf die dunkle Gasse hinaus; anderswo wurde auf dem Hausflur ein altes Weihnachtslied gesungen; es waren klare Mädchenstimmen darunter. Reinhardt hörte sie nicht, er ging rasch an Allem vorüber, aus einer Straße in die andere. Als er an seine Wohnung gekommen, war es fast völlig dunkel geworden; er stolperte die Treppe hinauf und trat in seine Stube. Ein süßer Duft schlug ihm entgegen; das heimelte ihn an (5), das roch wie zu Haus der Mutter Weihnachtsstube. Mit zitternder Hand zündete er sein Licht an; da lag ein mächtiges Paket auf dem Tisch, und als er es öffnete, fielen die wohlbekannten braunen Festkuchen (6) heraus; auf einigen waren die An­fangsbuchstaben eines Namens in Zucker ausgestreut; das konnte Niemand anders als Elisabeth getan haben. Dann kam ein Päckchen mit feiner gestickter Wäsche zum Vorschein, Tücher und Manschetten, zuletzt Briefe von der Mutter und von Elisabeth. Reinhardt öffnete zuerst den letzteren; Elisabeth schrieb:

"Die schönen Zuckerbuchstaben können Dir wohl erzählen, wer bei den Kuchen mitgeholfen hat; dieselbe Person hat die Manschetten für Dich gestickt. Bei uns wird es nun Weihnachtabend sehr still werden; meine Mutter stellt immer schon um halb zehn ihr Spinnrad in die Ecke; es ist gar so einsam diesen Winter, wo Du nicht hier bist. Nun ist auch vorigen Sonntag der Hänfling gestorben, den Du mir geschenkt hattest; ich habe sehr geweint, aber ich hab' ihn doch immer gut gewartet. Der sang sonst immer Nachmittags, wenn die Sonne auf sein Bauer schien; Du weißt, die Mutter hing oft ein Tuch über, um ihn zu geschweigen (7), wenn er so recht aus Kräften sang. Da ist es nun noch stiller in der Kammer, nur dass Dein alter Freund Erich uns jetzt mitunter besucht. Du sagtest einmal, er sähe seinem braunen Überrock ähnlich. Daran muss ich nun immer denken, wenn er zur Tür hereinkommt, und es ist gar nicht zu komisch; sag es aber nicht zur Mutter; sie wird dann leicht verdrießlich.

- Rat, was ich Deiner Mutter zu Weihnachten schenke! Du rätst es nicht? Mich selber! Der Erich zeichnet mich in schwarzer Kreide; ich habe ihm schon dreimal sitzen müssen, jedes Mal eine ganze Stunde. Es war mir recht zuwider, dass der fremde Mensch mein Gesicht so auswendig lernte. Ich wollte auch nicht, aber die Mutter redete mir zu; sie sagte: es würde der guten Frau Werner eine gar große Freude machen.

Aber Du hältst nicht Wort, Reinhardt. Du hast keine Märchen geschickt. Ich habe Dich oft bei Deiner Mutter verklagt; sie sagt dann immer, Du habest jetzt mehr zu tun, als solche Kindereien. Ich glaub' es aber nicht; es ist wohl anders." Nun las Reinhardt auch den Brief seiner Mutter, und als er beide Briefe gelesen und langsam wieder zusammengefaltet und weggelegt hatte, überfiel ihn unerbittliches Heimweh. Er ging eine Zeit lang in seinem Zimmer auf und nieder; er sprach leise und dann halbverständlich zu sich selbst:

Er wäre fast verirret

Und wusste nicht hinaus;

Da stand das Kind am Wege

Und winkte ihm nach Haus!

Dann trat er an sein Pult, nahm einiges Geld heraus und ging wieder auf die Straße hinab. - Hier war es mittlerweile stiller geworden; die Weihnachtsbäume waren ausgebrannt, die Umzüge der Kinder hatten aufgehört. Der Wind fegte durch die einsamen Straßen; Alte und Junge saßen in ihren Häusern familienweise zusammen; der zweite Abschnitt des Weihnachtsabends hatte begonnen. -

Als Reinhardt in die Nähe des Ratskellers kam, hörte er aus der Tiefe herauf Geigenstrich und den Gesang des Zithermädchens; nun klingelte unten die Kellertüre und eine dunkle Gestalt schwankte die breite, matt erleuchtete Treppe herauf. Reinhardt trat in den Häuserschatten und ging dann rasch vorüber. Nach einer Weile erreichte er den erleuchteten Laden eines Juweliers; und, nachdem er hier ein kleines Kreuz von roten Korallen eingehandelt hatte, ging er auf demselben Wege, den er gekommen war, wieder zurück.

Nicht weit von seiner Wohnung bemerkte er ein kleines, in klägliche Lumpen gehülltes Mädchen an einer hohen Haustür stehen, in vergeblicher Bemühung sie zu öffnen. "Soll ich Dir helfen?" sagte er. Das Kind erwiderte nichts, ließ aber die schwere Türklinke fahren. Reinhardt hatte schon die Tür geöffnet. "Nein", sagte er, "sie könnten Dich hinausjagen; komm mit mir! Ich will Dir Weihnachtskuchen geben." Dann machte er die Tür wieder zu und fasste das kleine Mädchen an der Hand, das stillschweigend mit ihm in seine Wohnung ging.

Er hatte das Licht beim Weggehen brennen lassen. "Hier hast Du Kuchen", sagte er, und gab ihr die Hälfte seines ganzen Schatzes in ihre Schürze, nur keine mit den Zuckerbuchstaben. "Nun geh nach Hause und gib Deiner Mutter auch davon." Das Kind sah mit einem scheuen Blick zu ihm hinauf; es schien solcher Freundlichkeit ungewohnt und nichts darauf erwidern zu können. Reinhardt machte die Tür auf und leuchtete ihr und nun flog die Kleine wie ein Vogel mit ihren Kuchen die Treppe hinab und zum Hause hinaus.

Reinhardt schürte das Feuer in seinem Ofen an und stellte das bestaubte Dintenfaß auf seinen Tisch; dann setzte er sich hin und schrieb, und schrieb die ganze Nacht Briefe an seine Mutter, an Elisabeth. Der Rest der Weihnachtskuchen lag unberührt neben ihm; aber die Manschetten von Elisabeth hatte er angeknüpft, was sich gar wunderlich zu seinem weißen Flausrock (8) ausnahm. So saß er noch, als die Wintersonne auf die gefrorenen Fensterscheiben fiel und ihm gegenüber im Spiegel ein blasses, ernstes Antlitz zeigte.

Texterläuterungen

(1) Zithermädchen: Diese meist als Harfenmädchen bezeichneten wandernden Musikantinnen waren um die Mitte des 19. Jh.s noch eine häufige Erscheinung. Ihr Instrument war eine kurze, auf den Tisch oder die Oberschenkel gestellte Harfe, nicht die Zither im modernen Sinne.

(2) mit feinen zigeunerhaften Zügen: In einem undatierten Briefentwurf an Helen Clark, die erste Übersetzerin der Novelle ins Englische, schreibt Storm: "ich habe kein Zigeunermädchen gemeint, sondern nur ein Mädchen, deren Gesicht an die feinen Züge der Zigeunerinnen erinnert".

(3) böhmisch Liebchen: Hier wird als selbstverständlich vorausgesetzt, dass die wandernden Musikanten Zigeuner sind. Als deren Heimat gilt in der romantischen Vorstellung Böhmen.

(4) Scharen von Bettelkindern: Noch im 19. Jahrhundert waren mit dem Weihnachtsfest Heischebräuche (heischen = um etwas bitten) verbunden, in Schleswig-Holstein vor allem das Jelpott-Laufen: Die Kinder, vor allem aus armen, kleinbürgerlichen Familien, in denen es noch keine Bescherung gab, zogen vor die Häuser der gutsituierten (in guten wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden) Bürger, sangen ihre Lieder und erhielten zur Belohnung Äpfel, Nüsse und Törtchen.

(5) anheimeln: jmdn behaglich, vertraut anmuten.

(6) die wohlbekannten braunen Festkuchen: Harte, mit Sirup gefärbte Plätzchen (kleiner, flacher Kuchen, niederdt. brun Pletten) waren zu Storms Zeit in Norddeutschland das verbreitetste Weihnachtsgebäck.

(7) geschweigen: in transitiver Verwendung - zum Schweigen bringen.

(8) Flausrock: Hausjacke aus flauschiger Wolle.
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